Wenn ein Flüchtlingskind in Ihre Klasse kommt, ist dies auch für Sie eine besondere Situation. Sie müssen leider davon ausgehen, dass Ihr neuer Schüler Schreckliches erlebt hat. Lesen Sie in diesem Artikel, was Sie im Umgang mit einem möglicherweise traumatisierten Flüchtlingskind beachten sollten.
Ein Kind, das mit seiner Familie nach Deutschland geflohen ist, hat mit großer Wahrscheinlichkeit Bilder in seinem Kopf, die wir uns kaum vorstellen können. Als Lehrkraft eines Flüchtlingskindes sollten Sie sich mit den Folgen von Flucht vertraut machen: Ihr Schüler wird wohlmöglich auf gewisse Reize (Trigger) ängstlich reagieren und unter besonderen Belastungsfaktoren wie Trauma und Trauer leiden.
Es ist gut möglich, dass das Kind, das in Ihre Klasse kommt, mit traumatischen Ereignissen in Kontakt war: Es hat in dieser Notlage auf „Überlebensmodus“ geschaltet, um seine Seele von dieser grausamen Realität abzuschirmen. Ihr Schüler wird in eine Art „automatisiertes Tun“ verfallen sein, bei dem jedes Nachdenken und Fühlen möglichst abgeschaltet werden. In dieser Phase ist Ihr Schüler nicht in der Lage zu lernen. Dieses Wissen hilft Ihnen zu verstehen, weshalb das Kind möglicherweise Zeit braucht, um sich wieder an seine eigenen Gefühle heranzutrauen, und wann es wieder zu kognitiven Leistungen in der Lage ist. Geben Sie ihm also Zeit.
Erst wenn die akute Gefahr vorbei ist und Ihr Schüler merkt, dass sein Leben nicht mehr bedroht ist, beginnt die Bewältigung des Erlebten. Das Kind wird nun nach und nach in der Lage sein, sich gedanklich mit den schlimmen Ereignissen überhaupt auseinanderzusetzen. Viele brauchen bei der Bewältigung professionelle Hilfe, die Sie nicht leisten können. Was Sie persönlich tun können, ist, dem Kind Sicherheit zu vermitteln und von ihm noch keine Leistung zu fordern. Sicherheit vermitteln Sie, indem Sie mit Ritualen und festen Abläufen arbeiten: dasselbe Morgenlied jeden Tag, einen festen Lernpartner in den ersten Wochen, die gleiche Musik zum gemeinsamen Aufräumen am Ende des Tages usw. Mit verlässlichen Klassenregeln und einem soliden „Alltagsgeschäft“ helfen Sie Ihrem Schüler am meisten.
Ihr Schüler wurde konfrontiert mit Gräueltaten: Er hat vielleicht gesehen, wie Menschen getötet oder vergewaltigt worden sind. Er war vielleicht der Situation hilflos und mit Todesangst ausgeliefert. Diese Bilder können auch am „sicheren Ort“ Schule wieder einen Weg ins Bewusstsein des Kindes finden, denn sie haben sich tief ins Gedächtnis Ihres Schüler gebrannt. Achten Sie deshalb besonders darauf, wie Ihr Schüler in bestimmten Situationen reagiert. Gewisse Reize (Trigger) können panische Angst oder Flashbacks bei Ihrem Schüler auslösen. Wo es geht, sollten Sie diese möglichst vermeiden.
In den meisten Fällen lösen Trigger Angst bei dem Kind aus. Ihr Schüler versteht womöglich gar nicht, warum er gerade Angst hat. Sein Verhalten kann Ihnen zeigen, was in dem Kind vorgeht. Wenn Sie dies wissen, können Sie verständnisvoll und einfühlsam reagieren. Eine Ermahnung wäre an dieser Stelle beispielsweise unangemessen. Typische, traumatisch bedingte Reaktionen des Kindes sind:
Zwingen Sie das Kind nicht dazu, etwas zu tun. Sprechen Sie leise mit ihm, und bieten Sie ihm z. B. an, sich in die Leseecke zurückzuziehen, um sich zu beruhigen.
Es ist durchaus möglich, dass Ihr Schüler einen Angehörigen verloren hat: Tante, Onkel, Cousin oder sogar Mutter, Vater oder Geschwisterkind. Es kann sein, dass die Familie Ihres Schülers auseinandergerissen wurde und sich ein Teil noch auf der Flucht bzw. in einem anderen Land befindet. Verständlich also, dass Ihr Schüler vielleicht trauert oder stark besorgt ist. Berücksichtigen Sie, dass das Kind womöglich weniger Kapazität hat, sich auf den Unterricht zu konzentrieren, da noch Prozesse der Verarbeitung dieser Situation ablaufen. Sie können dem Kind die Trauer nicht nehmen. Was Sie tun können, ist, Verständnis zu haben und ggf. auch ein offenes Ohr. Vergewissern Sie sich außerdem, dass es professionelle Hilfe in Form der Therapie erhält.
Trauer ist mehr als ein Gefühl – es ist ein komplexer Zustand, in dem sich der ganze Körper befindet. Ein trauerndes Kind können Sie im Vergleich
zu einem traurigen Kind nicht einfach trösten. Trauer kann sich bei Ihrem Schüler auf vielfältige Art und Weise zeigen:
Lassen Sie das Kind trauern. Gestehen Sie ihm zu, dass es wütend ist und sich „ungewöhnlich“ verhält. Natürlich darf auch ein traumatisiertes Flüchtlingskind kein anderes Mitglied der Klassengemeinschaft verletzen oder Gegenstände zerstören. Versuchen Sie, dem Schüler andere Wege zu vermitteln, wie er seine Wut kanalisieren kann. Schenken Sie ihm z. B. einen Wutball, oder erlauben Sie, dass Ihr Schüler sich im Nebenraum z. B. an einem Boxsack abreagiert. Ein Kind, das wie ohnmächtig auf das Erlebte reagiert, profitiert am meisten davon, wenn Sie es am Schulalltag teilhaben lassen, ohne mit Druck etwas von ihm zu fordern. Regen Sie es an, z. B. an Spielen teilzunehmen, akzeptieren Sie aber, wenn es außen vor bleiben möchte.
Ihr Schüler trauert vielleicht auch um seine Heimat, seine Freunde, den Ort, den er als „sicheres Zuhause“ empfunden hat. Zeigen Sie Verständnis dafür, dass das Kind möglicherweise nicht so offen auf andere zugeht und sich schwer auf Neues einlassen kann. Ihr Schüler muss sich erst an sein neues soziales und kulturelles Umfeld anpassen. Arbeiten Sie mit Ihrer Klasse besonders an einem sozialen Klima. Langfristig wird Ihr traumatisiertes Kind davon profitieren.
Auch die Eltern Ihres Schülers können von den Erlebnissen in der Heimat und auf der Flucht traumatisiert sein. Möglicherweise sind sie nicht wie früher in der Lage, ihr Kind ausreichend zu unterstützen. Vielleicht fehlt Ihrem Schüler aus diesem Grund zu Hause ein strukturierter Alltag oder auch das Gefühl von Sicherheit.
Geben Sie auch den Eltern Zeit, das Vergangene hinter sich zu lassen und den Alltag zu organisieren. Helfen Sie konkret auf den Einzelfall bezogen: Vergessen die Eltern, dem Kind ein Pausenbrot mitzugeben? Fragen Sie z. B. in der Klasse, ob die anderen Eltern für die ersten Wochen abwechseln ein paar Brote mehr schmieren könnten.
Nicht jedes Flüchtlingskind ist traumatisiert, und nicht jedes Kind zeigt
Ihnen dies deutlich, wie traumatisiert es ist. Vielleicht hat Ihr Schüler gute Bewältigungsstrategien und Ressourcen und eine vollständige
Familie um sich, die es von vielen Eindrücken abgeschirmt hat.
Sicher können Sie nicht alle Hintergründe erkunden sowie im Detail verstehen, was Ihr Schüler erlebt hat und wie er dies verarbeitet. Lassen Sie sich aber möglichst nicht dazu verleiten, das Kind in eine Schublade zu stecken.
Besonders wenn Ihnen Verhaltensauffälligkeiten auffallen oder Ihr Schüler aktuell noch nicht in der Lage ist, sich für den Lerngegenstand zu öffnen, oder auch über längere Zeit hinweg nicht die erwünschten Lernerfolge aufweist: Betrachten Sie diese Aspekte vor dem Hintergrund von Flucht und Vertreibung, und
reagieren Sie möglichst einfühlsam und geduldig.
Fazit: Wenn Sie die 11 Tipps beachten steht einem erfolgreichen Start des Kindes in die neue Klasse nichts mehr im Weg.
Um ein Vertrauensverhältnis aufbauen zu können, sollten Sie möglichst viel über Ihren Schüler mit Migrationshintergrund wissen. Versuchen Sie in einem Gespräch mit den Eltern und dem Kind Aspekte in Erfahrung zu bringen,... Unser Fragebogen hilft Ihnen beim Gespräch mit Flüchtlingsfamilien
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