Nachmittagsbetreuung – wer steht bei einem Unfall gerade?

01.06.2017

Praxisbeispiel: Die Nachmittagsbetreuung an der Neustädter Grundschule ist ein echtes Erfolgsmodell. Mehr als 70 % der Schüler nehmen dieses Angebot in Trägerschaft des „Neustädter Jugend e. V.“ in Anspruch. Die Zusammenarbeit mit dem Verein erfreut sich so großer Beliebtheit, dass auch die 3 weiteren Grundschulen in Neustadt in den letzten 5 Jahren diese Nachmittagsbetreuung eingeführt haben. Am Nachmittag des 31.05.2016 fallen krankheitsbedingt 2 Betreuungskräfte aus. Bei den nachmittäglichen Hausaufgaben, die ausnahmsweise ohne anwesende Betreuungspersonen erledigt werden müssen, kommt es zu einer Auseinandersetzung zwischen Moritz und Tim. Dabei klettert Tim über 2 Tische. Er rutscht von der Tischkante ab und fällt so unglücklich auf seinen rechten Arm, dass er mit einem Armbruch ins Krankenhaus gebracht werden muss. Tims Mutter ist erbost. Sie meint, dass Schulleiter Paul Sorgsam eine Aufsicht stellen müsse, wenn am Nachmittag Betreuungspersonen ausfallen.

Betreuungsangebote am Nachmittag sind heutzutage kaum noch aus den Schulen wegzudenken. Eltern erwarten von Ihnen regelrecht, dass Sie in Ihrer Grundschule ein solches Angebot machen, da die meisten Eltern verlässliche Ganztagsbetreuung schon aus den Kitas kennen. Auch am Nachmittag müssen die betreuten Kinder beaufsichtigt und so vor Gefahren geschützt werden. Die Verantwortlichkeit ist dabei nicht immer eindeutig zuzuordnen. Worauf es ankommt, erfahren Sie in diesem Beitrag.

Rechtlicher Hintergrund
Betreiben Sie Ihre Schule als sogenannte gebundene Ganztagsschule, sind sämtliche Nachmittagsangebote schulische Veranstaltungen und die Verantwortung auch für die Aufsichtsführung liegt bei Ihnen als Schulleitung (z. B. Art. 6 Bayerisches Gesetz über Erziehung und Unterricht [Ba-yEUG], i. V. m. Erlass Nr. III.5-5 O 4207-6a.70 200). Zusätzliche Betreuungsangebote wie z. B. im Bereich der Offenen Ganztagsschulen unterliegen nicht der schulischen Verantwortung und damit auch nicht deren Aufsichtspflicht. Die Verpflichtung zur ordnungsgemäßen Aufsicht liegt bei denjenigen, die die Betreuung am Nachmittag übernommen haben. Konkret bedeutet dies, dass Organisation und Durchführung der Aufsicht bei der Leitung des Nachmittagsbetriebs liegen.

Mehr zu dem rechtlichen Hintergrund von Nachmittagsbetreuung in Schulen können Sie in „Recht & Sicherheit in der Schule“ erfahren.

Was bedeutet das für Sie?
Im Offenen Ganztag muss der externe Kooperationspartner für die Aufsicht Ihrer Schüler sorgen. Klären Sie dies mit Ihrer Betreuungseinrichtung sowie mit Ihren Lehrkräften. Orientieren Sie sich an den nachfolgenden Fragen und Antworten.
Frage: Wer ist verantwortlich für die Nachmittagsbetreuung?
Antwort: Grundsätzlich hat Ihr Schulträger die Aufgabe, soweit es sich um eine öffentliche Schule handelt, Nachmittagsbetreuung an Schulen einzurichten. Dabei ist er frei, an welchen Schulen er Betreuungsmöglichkeiten anbietet und ob dies flächendeckend der Fall sein soll. Ihr Schulträger kann die Durchführung der Betreuung in die Hände Dritter geben. Dies ist z. B. im Praxisbeispiel mit dem privat organisierten Verein der Fall. Der Schulträger kann dies auch in Eigenregie übernehmen.

Ist Nachmittagsbetreuung verpflichtend?
In den meisten Bundesländern sind Betreuungsangebote am Nachmittag rein freiwilliger Natur. Zwar sehen die meisten Schulgesetze vor, dass im Rahmen des Bildungsauftrags auch Nachmittagsangebote sicherzustellen sind. Die Durchführung ist jedoch freiwillig. Für Aufsicht und Haftung hat dies die Folge, dass nicht Ihre Schule selbst für die Nachmittagsangebote verpflichtend sorgen muss, sondern dies als Aufgabe beim Schulträger verbleibt.

Wer ist am Nachmittag aufsichtspflichtig?
Derjenige, der für Ihren Schulträger die Betreuung am Nachmittag übernommen hat, hat damit gleichzeitig auch die Pflicht, die Aufsicht sicherzustellen. Dies gilt nicht nur für Mittagessen- und Hausaufgabenüberwachung, sondern auch für Arbeitsgemeinschaften, Sportveranstaltungen etc.

Können auch Lehrer am Nachmittag eingesetzt werden?
Grundsätzlich können auch Lehrer z. B. für den Bereich der Hausaufgabenbetreuung eingesetzt werden. In den meisten Fällen sehen die entsprechenden Durchführungserlasse der jeweiligen Bundesländer vor, dass auch Lehrerstunden für die Nachmittagsbetreuung zur Verfügung gestellt werden. Diese kann von Lehrkräften wahrgenommen werden. Die Stunden können aber auch in Form von Geld an den Träger weitergeleitet werden. Dieser kann dann wiederum eigene Betreuungskräfte hiervon einstellen. Eine andere Möglichkeit ist die, dass die Schulleitung Lehrkräfte auf der Basis dieser Lehrerstunden zur Aufsicht bei der Hausaufgabenbetreuung abordnet.

Muss die Aufsicht durch Profis erfolgen?
Eine gesetzliche Verpflichtung, dass die Aufsicht am Nachmittag durch ausgebildete Pädagogen zu erfolgen hat, gibt es nicht. Es dürfen auch Hilfspersonen zur Aufsicht herangezogen werden. Wichtig ist dabei, dass diese Personen auch dazu geeignet sind. Dies können z. B. ehrenamtlich unterstützende Eltern sein, aber auch Minijobber, die beim Träger der Nachmittagsbetreuung angestellt sind.

Dürfen Kinder am Nachmittag auch unbeaufsichtigt sein?
Nein, eine Aufsicht muss im Nachmittagsbereich zwingend kontinuierlich gegeben sein. In Einzelfällen kann es erforderlich sein, eine Gruppe für eine kurze Zeit allein zu lassen. Dies bedeutet jedoch nicht, dass hierdurch keine Aufsicht gewährleistet ist. Wichtig ist, dass sich die Schüler jederzeit beaufsichtigt fühlen.
Dies kann z. B. bei einem Personalausfall durch regelmäßige Kontrollgänge und Stichproben, z. B. bei der Anfertigung der Hausaufgaben am Nachmittag, der Fall sein.

Müssen für die Aufsicht nicht auch Vertretungskräfte verfügbar sein?
Im Prinzip schon. Im Praxisbeispiel hätte der Träger, der auch noch an anderen Schulen die Nachmittagsbetreuung vornimmt, sich um Vertretungskräfte bemühen müssen. Insbesondere dann, wenn Schüler wie im Praxisbeispiel in Auseinandersetzungen verwickelt werden, ist es wichtig, dass derartige Situationen nicht eskalieren. Eine Verletzung hätte so vermieden werden können. Dies ist nach meiner Auffassung ein klarer Fall einer grob fahrlässigen Aufsichtspflichtverletzung.

Wer kommt für den entstandenen Schaden auf?
Auch für die Nachmittagsbetreuung gilt grundsätzlich der Versicherungsschutz der gesetzlichen Unfallversicherung (GUV), wenn die Betreuung über den Schulträger organisiert und an den Schulen eingerichtet wird. Dann ist die Betreuung, auch wenn sie in privater Trägerschaft durchgeführt wird, als schulische Veranstaltung zu qualifizieren. In diesem Fall übernimmt die GUV die Kosten der medizinischen Heilbehandlung für den Armbruch von Tim.

Ist damit die Leitung der Betreuung aus dem Schneider?
Keineswegs. Die GUV hat jederzeit die Möglichkeit, beim Verdacht einer grob fahrlässigen Aufsichtspflichtverletzung bei der für die Organisation der Aufsicht zuständigen Person Regress zu nehmen. Es ist deshalb nicht ausgeschlossen, dass die Leitung der Nachmittagsbetreuung an der Neustädter Grundschule im Praxisbeispiel hierfür persönlich haftet. Unabhängig davon kann Tim über seine Eltern auch Schmerzensgeld unmittelbar gegenüber der Betreuungsleitung geltend machen. Der Träger der Betreuung, im vorliegenden Fall der „Neustadt Jugend e. V.“, kann gleichzeitig für Organisationsverschulden in Anspruch genommen werden, da eine Vertretung nicht organisiert war.

Mein Fazit: Der Schulträger hat die Aufgabe Nachmittagsbetreuung einzurichten, aber die Aufsichtspflicht liegt bei den Verantwortlichen der Nachmittagsbetreuung. Jüngere Schüler müssen umfassender beaufsichtigt werden als ältere Schüler. Verantwortungsbewusstsein und Entwicklungsstand der Kinder sind zu berücksichtigen. Dies ist Aufgabe des Trägers der Nachmittagsbetreuung.


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